Berufshaftpflicht für freiberufliche Psychotherapeut:innen
Im Rahmen einer Psychotherapie bauen Sie als Psychotherapeut intensive Beziehungen zu Ihren Patienten auf und haben unter Umständen großen Einfluss auf deren Verhalten. Im beruflichen Alltag können Missgeschicke passieren oder Ihnen wird vorgeworfen etwas falsch gemacht zu haben. Aus diesem Grund sind Psychotherapeut:innen gemäß § 4 Abs. 2 der Musterberufsordnung verpflichtet, sich hinreichend gegen Haftpflichtansprüche zu versichern.
WELCHE RISIKEN GIBT ES UND WOZU BIN ICH VERPFLICHTET?
Risiken als freiberufliche:r Psychotherapeut:in
Grundsätzlich sind Sie laut § 823 BGB dazu verpflichtet, Schadenersatz zu leisten, wenn Sie jemand Drittes einen Schaden zufügen und vor dem Gesetz haftbar zu machen sind — übrigens haften Sie im schlimmsten Fall mit Ihrem gesamten Privatvermögen.
Quelle: Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), § 823 Schadensersatzpflicht
Seit dem 20.07.2021 hat der Gesetzgeber durch die Einführung des Gesundheits-Versorgungs-Weiterentwicklungs-Gesetzes (GVWG) den Beschluss gefasst, die Berufshaftpflichtversicherung für alle Psychotherapeut:innen zur Pflichtversicherung zu machen. Im Paragraf § 95e Berufshaftpflichtversicherung des 5. Sozialgesetzbuches werden auch Mindestversicherungssummen festgelegt. Jede:r Psychotherapeut:in ist seit dem verpflichtet, seinen ausreichenden Versicherungsschutz bei der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung bzw. dem Zulassungsausschuss anhand einer gültigen Versicherungsbescheinigung nachzuweisen.
Quelle: Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V), § 95e Berufshaftpflichtversicherung
Weiterhin müssen Sie sich laut der Muster-Berufsordnung für Psychotherapeut:innen der Bundespsychotherapeutenkammerhinreichend gegen Haftpflichtansprüche im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit absichern. Das heißt, Sie brauchen unbedingt eine Berufshaftpflichtversicherung.
Quelle: Muster-Berufsordnung, Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK)
Als freiberufliche:r Psychotherapeut:in tragen Sie zum einen das Berufsrisiko, da Sie z. B. Patient:innen behandeln, Gutachten schreiben, supervidieren oder Weiterbildungen leiten. Zum anderen tragen Sie vielleicht auch ein Betriebsstättenrisiko, sofern Sie eigene Praxisräumlichkeiten haben.
Berufsrisiko
Ihr berufliches Risiko erstreckt sich auf Ihre spezifische Tätigkeit als Psychotherapeut:in. Zu dem Risiko mit dem höchsten Schadenpotenzial zählt sicherlich der klassische Behandlungsfehler. Weitere Risiken können zum Beispiel auch Datenschutzrechtsverletzungen oder Bedienungsfehler am Computer sein.
Betriebsstättenrisiko
Die meisten Schadenfälle im psychotherapeutischen Alltag ereignen sich in den eigenen Praxisräumlichkeiten. Ihr:e Patient:in rutscht auf dem eben nass gewischten Boden aus und bricht sich den Arm oder Sie demolieren den teuren Parkettboden beim Praxiseinzug. Im allerschlimmsten Fall haben Sie zum Beispiel zu verantworten, dass die gesamte Praxis abbrennt, weil Sie vergessen haben, eine Kerze zu löschen.
DAS KANN DOCH MAL PASSIEREN…
Mögliche Schadenarten bei Ihrer Tätigkeit
Wenn dann trotz aller Vorsicht und Gewissenhaftigkeit mal etwas in Ihrem Beruf oder der Praxis schiefgeht, wird der Schaden in eine der folgenden Schadenarten gegliedert:
WIRD SCHON SCHIEFGEHEN
Haftung (nicht nur) für Psychotherapeut:innen
Geht es um eine Haftungsfrage, gilt zunächst immer das Zivilrecht (linke Seite in der Grafik). Konkret heißt das: Ein:e Dritter wirft Ihnen vor, dass Sie ihm aus Versehen einen Schaden zugefügt haben. Dieser stellt dann einen Anspruch gegen Sie und Sie müssten, sofern Sie schuldig sind, einen Schadenersatz leisten.
Wenn Ihnen hingegen eine Straftat vorgeworfen wird, dann findet das Strafrecht Anwendung und es stellt sich keine Haftungsfrage — eine Haftpflichtversicherung würde in diesem Fall nicht leisten, auch nicht, wenn es nur um den Vorwurf geht. Unter bestimmten Umständen ergeben sich aus einem Schadenfall bzw. Vorwurf auch zwei Verfahren: eines im Zivil- und das andere im Strafrecht.
WAS MUSS DENN PASSIEREN?
Der klassische Behandlungsfehler
Ein Behandlungsfehler liegt vor, wenn Sie von dem zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemeinen anerkannten fachlichen Standard abgewichen sind — und dies kann nur ein Gutachter bzw. Sachverständige feststellen. Maßstab der Beurteilung ist:
- der wissenschaftliche Stand zum Zeitpunkt der Behandlung
- Beurteilung nur von jemanden aus der vergleichbaren Berufsgruppe
- Ihre Entscheidungen müssen nicht„sehr gut“, sondern nur„ausreichend“ sein
Zu beachten ist, dass Sie als Psychotherapeut:in de:r Patient:in grundsätzlich keinen Heilerfolg schulden, sondern das fachgerechte Bemühen um diesen Erfolg: „Der Behandler haftet nicht für den Erfolg, sondern für die sachgerechte Behandlung.“
Typische Vorwürfe gegenüber Behandler:innen
Der Behandlungsfehler kann zum Beispiel ein Befunderhebungsfehler, ein Diagnosefehler oder ein Therapiefehler sein. Sofern Sie vor Therapiebeginn nicht ordnungsgemäß aufgeklärt haben, kann sich daraus ebenfalls ein Anspruch auf Schadenersatz ergeben.
Typische Vorwürfe sind z. B., dass der Therapeut angeblich…
- eine falsche oder nicht anerkannte Therapiemethode angewendet hat,
- den Therapieerfolg bzw. die Therapie nicht hinreichend kontrolliert hat,
- den Abstand zum Patienten nicht eingehalten hat (Abstinenzgebot),
- die Grenzen der eigenen Behandlungsmöglichkeiten nicht erkannt hat oder
- keine Differenzialdiagnostik veranlasst hat.
ACHTUNG BEWEISLASTUMKEHR
Wer muss den Fehler nachweisen?
Im zivilrechtlichen Sinne stellen sich zwei Fragen:
- Liegt ein zur Haftung führendes Ereignis vor bzw. gibt es einen Schaden? (Haftung dem Grunde nach)
- Wie viel Entschädigung gibt es? (Haftung der Höhe nach)
Der oder die Patient:in muss normalerweise Fehler, Schaden und Kausalität beweisen. Die erste Frage ist aus der Sicht der oder des Patient:in leicht zu beantworten, denn in der Regel ist derjenige oder diejenige noch krank und somit ist der Schaden Grund für das Haftungsverfahren. Damit liegt in der Rechtspraxis ein Schaden zunächst immer vor.
Kann der oder die Geschädigte den Anspruch auf Schadenersatz belegen, steht die„Haftung dem Grunde nach“ fest. Der oder die Geschädigte hat einen Anspruch auf Schadenersatz. Aus dem Anspruch wird dann die Schadenersatzsumme ermittelt (Haftung der Höhe nach).
Doch jetzt kommt die Schwierigkeit: Jetzt muss der oder die Patient:in Ihnen einen Fehler nachweisen, also eine Kausalität zwischen dem Fehler und Schaden belegen. Kann er oder sie dies (wie häufig nicht), so verliert er den Prozess.
Ausnahme: Beweislastumkehr
Tritt eine Beweislastumkehr ein, dann muss der oder die Psychotherapeut:in beweisen, dass der Schaden auch ohne Fehler eingetreten wäre. Laut dem Patientenrechtegesetz greift die Beweislastumkehr in folgenden Fällen (unvollständiger Auszug):
Allgemeines Behandlungsrisiko
Ein allgemeines Behandlungsrisiko wird durch die Behandlung in jeder dazu geeigneten Institution (Klinik, Praxis, MVZ) angenommen. Allgemeine Behandlungsrisiken können z. B. im Hygienemangel oder in der Organisation der Klinik bei Personalmangel als Organisationsverschulden begründet sein. Für Psychotherapeut:innen ist diese Bestimmung kaum relevant.
Quelle: § 630h — Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Ordnungsgemäße Aufklärung und Einwilligung
Der oder die Psychotherapeut:in trägt die Beweislast dafür, dass der oder die Patient:in in die Behandlung eingewilligt hat und dass die hierfür erforderliche Aufklärung ordnungsgemäß erfolgt ist. Kann der oder die Psychotherapeut:in die ordnungsgemäße Aufklärung nicht vollständig beweisen, hat er oder sie z. B. über ein wesentliches Risiko nicht aufgeklärt und verwirklicht sich jedoch eines der Risiken, über die der oder die Patient:in vollständig aufgeklärt worden ist, dann kann er oder sie sich nicht auf eine fehlerhafte Aufklärung berufen.
Quelle: § 630h — Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Unzureichende Behandlungsdokumentation
In dem Fall, dass eine bestimmte therapeutische Maßnahme nicht dokumentiert ist, wird der oder die Psychotherapeut:in im Schadensfall beweisrechtlich so gestellt, als ob die Maßnahme nicht durchgeführt worden ist. Dies gilt bis zum Ablauf der Aufbewahrungsfristen für die betreffenden Behandlungsunterlagen. Es liegt in einer solchen Situation dann an ihm, die tatsächlich erfolgte Durchführung der Maßnahme zu beweisen.
Quelle: § 630h — Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Anfängerfehler
Diese Vorschrift trägt der Annahme Rechnung, dass allein die Übertragung von Tätigkeiten an einen hierfür unzureichend qualifizierte:n Psychotherapeut:in nicht dem im Behandlungsverhältnis geschuldeten Behandlungsstandard entspricht. Relevant wird diese Regelung vor allem bei Berufsanfängern oder bei Psychotherapeut:innen in Aus- und Weiterbildung (PiA). Steht die unzureichende Qualifikation des oder der Therapeut:in fest, muss der oder die Vertragspartner:in des oder der Patient:in im Streitfall darlegen und beweisen, dass die unzureichende Befähigung, Übung oder Erfahrung des Behandelnden nicht ursächlich für die Verletzung des oder der Patient:in war.
Quelle: § 630h — Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Grober Behandlungsfehler
Grundsätzlich hat der oder die Patient:in im Schadensfall sowohl die Tatsache zu beweisen, dass ein Behandlungsfehler vorliegt und dass dieser Fehler auch ursächlich für die entstandene Verletzung der Gesundheit oder des Lebens geworden ist. Die Kausalität zwischen Fehler und eingetretener Gesundheitsschädigung (Haftung dem Grunde nach) ist jedoch häufig kaum nachweisbar, da in solchen Fällen auch andere Ursachen für die Gesundheitsschädigung infrage kommen. Liegt indes ein grober Behandlungsfehler vor, ist der oder die Patient:in von dieser Beweislast befreit, denn die Kausalität wird dann vermutet. Dass der Fehler„grob“ war, ist allerdings von der oder dem Patient:in zu beweisen.
Der oder die betroffene Psychotherapeut:in muss im Falle eines festgestellten groben Behandlungsfehlers beweisen, dass dieser nicht kausal war, für die Rechtsgutsverletzung oder dass der Gesundheitsschaden auch bei regelrechter Behandlung eingetreten wäre. Eine sehr schwierige Beweisführung, die ebenfalls häufig nicht gelingt. Ein Fehler gilt als grob, wenn der oder die Therapeut:in gegen gesicherte und bewährte wissenschaftliche Erkenntnisse und Erfahrungen verstoßen hat und ihm dies schlechterdings nicht unterlaufen darf. Dies ist immer eine Frage des Einzelfalls. (siehe Behandlungsfehler)
Quelle: § 630h — Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
HAFTPFLICHT FÜR PSYCHOTHERAPEUT:INNEN
Die Berufshaftpflichtversicherung
Zunächst mal müssen wir an der Stelle sagen, dass Sie sich im Grunde keine Sorgen zu machen brauchen. Es gibt nur sehr wenige ernsthafte Schadenfälle, die Psychotherapeut:innen betreffen. Das zeigt auch der im Vergleich zu anderen Berufsgruppen günstige Versicherungsbeitrag für die Berufshaftpflichtversicherung — und wer kann Risiken besser einschätzen und kalkulieren als Versicherungsgesellschaften?
Nichtsdestotrotz sehen Sie an dem oberen Teil dieses Beitrags, dass theoretisch etwas passieren könnte und Sie im Fall der Fälle auch haftbar zu machen sind und dann durchaus sehr hohe Schadenersatzsummen möglich sind. Deshalb sind Sie auch laut Berufsordnung und mittlerweile auch gesetzlich dazu verpflichtet, eine eigene Berufshaftpflichtversicherung zu haben.
Haftpflichtversicherungen im Allgemeinen haben immer eine Doppelfunktion: berechtigte Ansprüche werden von der Versicherung befriedigt und unberechtigte Ansprüche abgewehrt — zur Not auch vor Gericht. Die Abwehrfunktion ist in Ihrem Tätigkeitsbereich wahrscheinlich die wichtigere Funktion, weil es viel häufiger zu Haftpflichtprozessen kommt, die ohne Verurteilung ausgehen.
Besonderheit: Erweiterter Strafrechtsschutz
Unter Umständen kann es sein, dass aus einem zivilrechtlichen Haftungsanspruch ein strafrechtlicher Anspruch resultiert. Sofern die Berufshaftpflichtversicherung auch über einen erweiterten Strafrechtsschutz verfügt, würden auch die Gerichtskosten sowie die gebührenordnungsmäßigen Kosten der Verteidigung übernommen, wenn der Prozess aus einem zivilrechtlichen Schadenersatzanspruch resultiert. Bei einem Vorwurf einer Straftat ohne zivilrechtlichen Haftungsanspruch bietet die Berufshaftpflichtversicherung keinen Versicherungsschutz. Deswegen empfehlen wir in Ergänzung immer eine berufliche Rechtsschutzversicherung für Psychotherapeut:innen inkl. dem Baustein Spezial-Straf-Rechtsschutz.